Der Melder geht erneut: Neuer Einsatz für den Rettungswagen ohne Notarzt. Es handelt sich um eine 70 jährige Patientin. Diese habe plötzlich Übelkeit und Schwindel sowie leichte Brustenge. Nach 8 Minuten Anfahrt erreichst du ein Mehrfamilienhaus. Die Patientin wohnt im ersten OG. und öffnet dir auf's klingeln die Haustür. Sie hat ein rosiges Hautkolorit und wirkt leicht außer Atem. Du bittest die ältere Dame sich zu setzten und in Ruhe zu schildern was passiert ist. Sie bestätigt die Symptome die du schon von deinem Melder kennst.
Ihr schreibt folgendes 12-Kanal-EKG:


Herzfrequenz: 170/min QRS: schmal
Ist das EKG rhythmisch?
Was könnten die Ursachen für die ST-Senkungen sein?
Sehen die QRS-Komplexe einer Ableitung immer gleich aus?
Herzrhythmus:
P-Wellen sind im obigen EKG keine zu finden. Die QRS-Komplexe sind schmal, also kommt der Rhythmus aus dem Bereich oberhalb der Herzkammern. Die QRS-Komplexe haben verschieden lange Abstände zu einander und eine durchschnittliche Herzfrequenz von 170/min. Es handelt sich also um eine unregelmäßige Schmalkomplextachykardie ohne P-Wellen. Das führt uns zur Rhythmusdiagnose: Tachyarrhthmia Absoluta (TAA) oder auch tachykardes Vorhofflimmern. Die Flimmerwellen sind bei einer so hohen Frequenz in unserem Fall nicht mehr sichtbar.
Lagetyp und Zeiten:
Der Lagetyp ist nicht für jeden QRS-Komplex gleich. In Ableitung I sehen wir eine monophysische R-Zacke und in aVL einen qR-Komplex. Um die Unterscheidung zwischen einem Linkstyp (LT) und einem überdrehten Linkstyp (üLT) treffen zu können, ist das Verhältnis von R zu S in Ableitung II entscheidend. Ist das R>S handelt es sich um einen Linkstyp. Ist das S>R handelt es sich um einen überdrehten Linkstyp. Aber genau das ist von Schlag zu Schlag sehr variabel. Manchmal ist das Verhältnis mehr in Richtung R- und bei manchen Schlägen mehr Richtung S-Zacke ausgebildet. Warum? Kommen wir gleich zu! Die QRS-Komplexe sind kleiner 100 ms. Es liegt kein Blockbild vor.
Erregungsrückbildungsstörungen
Die ST-Strecken sind alles andere als isoelektrisch. Vor allem in II, aVF und in den Brustwandableitungen V3-V6 sind deutliche ST-Senkungen zu sehen. In Ableitung aVR eine Hebung. Das Bild erinnert an das EKG bei einer kritischen Hauptstammstenose. Aber auch andere Ursachen für einen Sauerstoffmangel können hierfür die Ursache sein.
Warum sehen manche Schläge anders aus?
Bei einem tachykarden Vorhofflimmern mit Herzfrequenzen bis zu 200/min muss der AV-Knoten sehr stark arbeiten. Das eigentliche Flimmern im Vorhof hat eine Frequenz von 350-600/min. Würden diese hohen Frequenzen ungehindert auf die Herzkammern übergeleitet werden, wären Kammerflimmern und ein Herzkreislaufstillstand die Konsequenz. Deswegen blockiert der AV-Knoten viele dieser kleinen Erregungen um das Herz zu schützen. Auch die Reizleitungsstrukturen nach dem AV-Knoten (His-Bündel und Tawara-Schenkel) sind nicht auf solch hohe Herzfrequenzen ausgelegt. So kann es durch die Tachykardie zwischenzeitlich zu Ausfällen dieser Struktur kommen. In rot und schwarz habe ich euch eine Herzerregung markiert, die etwas aus der Reihe fällt (schaut genau hin).


Mutmaßlich kam hier der linksanteriore Tawaraschenkel nicht mit der hohen Herzrate mit und hat frequenzbedingt blockiert.
Man kann es sich auch so vorstellen: Einige Läufer kommen mit dem hohen Tempo nicht zurecht. Sie brauchen kurz eine Pause, trinken einen Schluck Wasser und können dann wieder weiter rennen (Metapher für die Refraktärzeitunterschiede der verschiedenen Schenkel). Man spricht bei einem solchen funktionalen Block auch von einem aberrant übergeleiteten Schlag.
Was ist mit den ST-Senkungen?
ST-Strecken-Senkungen im Rahmen einer Tachykardie sind nicht selten. Vor allem bei der AVNRT und der TAA treten bei hohen Frequenzen ST-Senkungen auf. Sie sind Ausdruck einer relativen Sauerstoffunterversorgung am Herzmuskel. Bleiben sie auch nach Beendigung der Rhythmusstörung bestehen, müssen andere Ursachen wie ein Akutes Koronarsyndrom ausgeschlossen werden.
Abschlussdiagnose:
Tachyarrhythmia Absoluta bei Vorhofflimmern mit teilw. aberrant geleiteten Schlägen
Nach sorgfältiger Analyse des vorliegenden EKGs halte ich diese Diagnose für nicht zutreffend. Hier sind die Gründe, warum ich diese Einschätzung habe:
1.Herzrhythmus:
Die Herzfrequenz beträgt 170/min, was auf eine Tachykardie hinweist. Der Rhythmus scheint jedoch regelmäßig zu sein. Vorhofflimmern (AFib) ist typischerweise durch einen unregelmäßigen, unregelmäßigen Rhythmus gekennzeichnet, was hier nicht der Fall ist.
2.P-Wellen:
Bei Vorhofflimmern fehlen normalerweise die P-Wellen, und es gibt stattdessen unregelmäßige f-Wellen. In diesem EKG sind keine klaren P-Wellen sichtbar, was allerdings auch bei anderen supraventrikulären Tachykardien der Fall sein kann.
3.QRS-Komplex:
Die QRS-Komplexe sind schmal, was darauf hindeutet, dass die elektrische Aktivität über das normale ventrikuläre Leitungssystem verläuft. Bei teilweise aberrant geleiteten Schlägen (wie bei einem Schenkelblock) würde man breitere QRS-Komplexe erwarten.
4.ST-Strecken…